Wegeunfall im Home Office, mobile Arbeit und Telearbeit – wann greift die gesetzliche Unfallversicherung?
Wer von zu Hause arbeitet oder mobil tätig ist, steht oft vor der Frage, ob Unfälle auf dem Weg zur Arbeit oder innerhalb der eigenen Wohnung versichert sind. Entscheidend ist, ob die Tätigkeit im direkten Zusammenhang mit der beruflichen Aufgabe steht. Die gesetzliche Unfallversicherung schützt Arbeitnehmer nicht nur im Büro, sondern auch bei Telearbeit und mobilem Arbeiten – unter bestimmten Bedingungen. Erfahre hier, wann ein Wegeunfall im Home Office als Arbeitsunfall zählt und welche Regeln gelten.
Inhaltsverzeichnis
1.Was ist der Unterschied zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten/Homeoffice?
3. Was ist ein Arbeitsort, und wann sind Tätigkeiten versichert?
4. Praxisbeispiele: Was gilt als Wegeunfall im Homeoffice und bei Telearbeit?
1. Was ist der Unterschied zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten/Homeoffice?
Der Unterschied zwischen Telearbeit und mobilem Arbeiten/Homeoffice liegt vor allem in der rechtlichen Definition und der organisatorischen Gestaltung des Arbeitsplatzes:
Telearbeit
Telearbeit ist in Deutschland klar geregelt. Sie wird in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) unter § 2 Abs. 7 definiert. Danach handelt es sich um einen fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz, der im privaten Bereich der Arbeitnehmer eingerichtet wird. Dieser Arbeitsplatz wird vertraglich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Ausstattung bereitzustellen, beispielsweise Schreibtisch, Stuhl, Bildschirm und sonstige Arbeitsmittel.
Merkmale der Telearbeit:
- Es gibt eine verbindliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
- Der Arbeitgeber ist für die ergonomische und arbeitssichere Gestaltung des Arbeitsplatzes verantwortlich.
- Der Arbeitsplatz ist dauerhaft und fest im häuslichen Bereich eingerichtet.
Mobiles Arbeiten/Homeoffice
Im Gegensatz zur Telearbeit ist mobiles Arbeiten oder Homeoffice rechtlich weniger klar definiert. Es handelt sich hierbei um eine flexible Arbeitsform, bei der der Arbeitsort nicht auf einen festen Arbeitsplatz beschränkt ist. Die Arbeit kann beispielsweise von zu Hause, aus einem Café oder unterwegs erfolgen. Eine spezifische gesetzliche Regelung wie bei der Telearbeit gibt es hierfür bislang nicht.
Merkmale des mobilen Arbeitens:
- Keine feste Einrichtung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber.
- Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes.
- Verantwortung für die Sicherheit des Arbeitsplatzes liegt teilweise beim Arbeitnehmer.
2. Was sind Wegeunfälle?
Ein Wegeunfall ist ein Unfall, der auf dem direkten Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause geschieht. Laut § 8 Abs. 2 des Siebten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) stehen solche Wege unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Begriff umfasst nicht nur Unfälle im Straßenverkehr, sondern auch Stürze oder andere Ereignisse, die sich während des zurückgelegten Arbeitswegs ereignen.
Voraussetzungen für einen Wegeunfall:
- Der Unfall muss sich auf dem direkten Weg zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte ereignen.
- Es handelt sich um den üblichen Arbeitsweg, ohne Umwege oder private Zwischenstopps.
- Der Weg muss im Zusammenhang mit der versicherten beruflichen Tätigkeit stehen.
Besondere Fälle:
- Umwege: Ein Umweg kann versichert sein, wenn er erforderlich ist, z. B. durch die Mitnahme von Kindern zur Kita oder das Umfahren von Baustellen.
- Zweitwohnung: Wenn ein Arbeitnehmer aus einer Zweitwohnung oder Pendlerunterkunft zur Arbeit fährt, kann auch dieser Weg unter den Versicherungsschutz fallen.
Die gesetzliche Unfallversicherung übernimmt die Leistungen, wenn alle oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu zählen unter anderem Heilbehandlung, Rehabilitation und Entschädigungszahlungen.
3. Was ist ein Arbeitsort, und wann sind Tätigkeiten und Wege versichert?
Die Frage, was als Arbeitsort gilt und welche Tätigkeiten oder Wege versichert sind, hängt stark von der Art der Arbeit und dem Arbeitsumfeld ab. Mit der zunehmenden Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Homeoffice, Telearbeit oder mobiles Arbeiten wurden die Regelungen im Hinblick auf den Versicherungsschutz erweitert, insbesondere durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz. Entscheidend für den Versicherungsschutz ist nicht immer der Ort der Tätigkeit, sondern der Zusammenhang mit den beruflichen Aufgaben – ein Konzept, das oft als „Handlungstendenz“ bezeichnet wird.
Versicherte Tätigkeiten
Alle Tätigkeiten, die in engem Zusammenhang mit den beruflichen Aufgaben stehen, sind versichert. Dazu gehören:
- Arbeiten am Computer oder an anderen Arbeitsgeräten.
- Teilnahme an virtuellen Besprechungen und Telefonkonferenzen.
- Wege innerhalb des Hauses oder der Wohnung, die der beruflichen Tätigkeit dienen. Beispiel: Der Gang ins Erdgeschoss, um die Internetverbindung für die Arbeit wiederherzustellen, oder der Weg zur Post um geschäftliche Dokumente zu versenden, ist versichert.
Nicht versicherte Tätigkeiten
Privat motivierte Handlungen sind nicht versichert. Beispiele:
- Das zubereiten von Essen in der eigenen Küche
- Der Gang zur Tür, um ein privates Paket entgegenzunehmen.
Versicherte Wege innerhalb der Wohnung
Ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) hat klargestellt, dass auch Wege innerhalb des Hauses (Wegeunfall im Home Office) oder der Wohnung unter den Schutz der Unfallversicherung fallen können. Entscheidend ist, ob der Weg der Arbeitsaufnahme oder einer anderen beruflichen Notwendigkeit dient.
Beispiel:
- Versichert: Ein Arbeitnehmer stürzt auf der Treppe, während er ins Arbeitszimmer geht, um die Arbeit aufzunehmen.
- Nicht versichert: Ein Arbeitnehmer stürzt auf der Treppe, weil er ein privates Paket entgegennehmen will.
Wege zwischen dem häuslichen Arbeitsplatz und der Firma
Versicherungsschutz besteht auch auf Wegen vom häuslichen Arbeitsplatz in die Firma und zurück. Beispiele:
- Der Weg, um Arbeiten in der Firma abzugeben oder an einer Besprechung teilzunehmen, ist versichert.
- Der Versicherungsschutz beginnt jedoch erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes.
Erweiterter Versicherungsschutz durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz
Seit dem Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes im Juni 2021 wurde der Versicherungsschutz für Beschäftigte bei der Telearbeit oder im Homeoffice und bei mobiler Arbeit (Wegeunfall Home Office)erweitert:
- Wege innerhalb der Wohnung (z. B. ins Homeoffice-Arbeitszimmer) sind genauso abgesichert wie Wege innerhalb eines Unternehmensgebäudes.
- Wege z.B. zur Kinderbetreuung: Beschäftigte, die ihr Kind aus dem Homeoffice zur Kita, Tagesmutter oder Schule bringen, stehen auf dem direkten Hin- und Rückweg ebenfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Versicherungsschutz bei mobiler Arbeit
Auch bei der mobilen Arbeit, z. B. beim Kunden, im Hotelzimmer oder auf Geschäftsreisen, greift die gesetzliche Unfallversicherung. Wichtig ist, dass die Tätigkeit einem beruflichen Zweck dient und nicht rein privater Natur ist.
Handlungstendenz als entscheidender Faktor
Unabhängig davon, ob die Arbeit im Betrieb, am Telearbeitsplatz, im Homeoffice oder mobil ausgeführt wird, ist die sogenannte Handlungstendenz ausschlaggebend für den Versicherungsschutz. Tätigkeiten sind versichert, wenn sie objektiv im Interesse des Arbeitgebers und der beruflichen Aufgaben stehen.
4. Praxisbeispiele: Was gilt als Wegeunfall im Homeoffice und bei Telearbeit?
Um zu verdeutlichen, wann ein Unfall im Homeoffice oder bei Telearbeit als Wegeunfall gilt, sind praktische Beispiele hilfreich. Diese verdeutlichen, wie die gesetzlichen Regelungen und Urteile in der Praxis angewendet werden. Entscheidend ist, dass der Unfall im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit oder auf einem versicherten Weg passiert.
Beispiel 1: Weg zur Arbeitsaufnahme im Homeoffice
Ein Arbeitnehmer steht morgens auf und geht vom Schlafzimmer in das Arbeitszimmer, um die Arbeit aufzunehmen. Dabei rutscht er auf der Treppe aus und verletzt sich.
- Versicherungsschutz: Ja.
- Begründung: Laut dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2021 – B 2 U 4/21 R) ist der Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme im Homeoffice versichert, da er mit der beruflichen Tätigkeit in engem Zusammenhang steht.
Beispiel 2: Gang zur Küche, um Essen zuzubereiten
Ein Arbeitnehmer unterbricht während der Arbeitszeit seine Tätigkeit im Homeoffice, um in die Küche zu gehen und sich dort ein Essen zuzubereiten. Auf dem Weg in die Küche stolpert er und verletzt sich.
Versicherungsschutz: Ja, für den Weg – aber nicht für die Tätigkeit in der Küche.
Begründung:
Der Weg von der Arbeitsstätte (z. B. dem Arbeitszimmer) in die Küche kann unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen, da dieser Weg als Teil der Arbeitsorganisation interpretiert werden kann. Solche Wege dienen der Grundversorgung (ähnlich wie ein Gang zur Toilette) und sind deshalb versichert.
Sobald der Arbeitnehmer jedoch in der Küche das Essen zubereitet, handelt es sich um eine rein private Tätigkeit, die der eigenwirtschaftlichen Lebensführung zugeordnet wird. Verletzungen, die während des Kochens oder der Essenszubereitung entstehen, sind nicht versichert.
Beispielhafte Unterscheidung:
- Versichert: Der Arbeitnehmer stolpert auf dem Weg in die Küche und verletzt sich.
- Nicht versichert: Der Arbeitnehmer schneidet sich in der Küche beim Zubereiten eines Essens.
Beispiel 3: Reparatur einer Internetverbindung
Ein Arbeitnehmer bemerkt während eines virtuellen Meetings, dass die Internetverbindung instabil ist. Er verlässt den Arbeitsplatz, um im Erdgeschoss den Router neu zu starten, und stürzt dabei die Treppe hinunter.
- Versicherungsschutz: Ja.
- Begründung: Die Handlung dient der Aufrechterhaltung der beruflichen Tätigkeit und steht damit in einem direkten Zusammenhang mit der Arbeit.
Beispiel 4: Weg zur Kinderbetreuung
Eine Arbeitnehmerin bringt ihr Kind während der Arbeitszeit aus dem Homeoffice zur Kita. Auf dem Rückweg rutscht sie auf einer vereisten Treppe aus und verletzt sich.
- Versicherungsschutz: Ja.
- Begründung: Seit Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes im Juni 2021 sind Wege zur Kinderbetreuung, die aus dem Homeoffice unternommen werden, genauso versichert wie bei Arbeitnehmern, die in der Betriebsstätte arbeiten.
Beispiel 5: Weg zwischen Homeoffice und Betrieb
Ein Arbeitnehmer verlässt seinen Arbeitsplatz im Homeoffice, um an einer Besprechung in der Firma teilzunehmen. Während er auf dem Weg zum Auto ausrutscht, verletzt er sich.
- Versicherungsschutz: Ja.
- Begründung: Der direkte Weg zwischen Homeoffice und Betrieb steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Beispiel 6: Privater Abstecher während eines versicherten Weges
Ein Arbeitnehmer verlässt das Homeoffice, um ein berufliches Dokument zur Post zu bringen. Auf dem Rückweg macht er einen Umweg, um privat einkaufen zu gehen. Während dieses Umwegs stolpert er und verletzt sich.
- Versicherungsschutz: Nein, aber!
- Begründung: . Geschieht der Unfall wie beschrieben während der Unterbrechung, d.h. mit durchschreiten der Türschwelle zum Einkaufen, erlischt für diese Zeit der Versicherungsschutz.
Wird der Weg von der oder zur Arbeitsstätte (Homeoffice) für weniger als zwei Stunden unterbrochen, lebt der Versicherungsschutz nach der Unterbrechung wieder auf: Geht der Versicherte, einkaufen und setzt den Weg nach weniger als zwei Stunden fort, besteht auf dem weiteren Heimweg Versicherungsschutz. Wird der Arbeitsweg für mehr als zwei Stunden unterbrochen, besteht kein Versicherungsschutz mehr.
Wichtig: In jedem Einzelfall entscheidet die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse, ob ein Unfall als versichert anerkannt wird. Maßgeblich ist dabei immer der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit und die sogenannte Handlungstendenz.
Weiterführende Informationen finden sie hier:
https://www.bghw.de/der-versicherungsschutz-der-bghw/wegeunfall